Sieben Tage im Land der Trolle

Es hat geklappt. Der erste Törn in Norwegen liegt hinter mir. Vom 8. bis zum 14. Juli 2011 segelte ich auf dem Sognefjord, Norwegens größtem, von Balestrand nach Balestrand, also direkt von zuhause aus. Hier mein Törntagebuch:



Der Ausschnitt des Sognefjords, in dem mein Törn stattfand (Quelle: Kystverket)

08.07.2011

Endlich ist es mal wieder soweit. Nach vier Jahren starte ich eine neue Segeltour. Ein festes Ziel habe ich nicht. Den Sognefjord ab Balestrand Richtung Westen soll es gehen, und Freitag, also genau in einer Woche, muss ich wieder zurück sein. Alles andere mache ich vom Wetter und der eigenen Laune abhängig.

Gegen 12 Uhr verlasse ich Balestrand bei schönstem Wetter. Im Winter habe ich mir extra ein neues Großsegel machen lassen. Das vorige ist mir zum Alleine-Segeln einfach zu groß. Mein Törn 2007 hatte darunter deutlich gelitten, wie ich berichtet hatte. Das neue entspricht in etwa dem ersten Segel, das beim Kauf des Bootes dabei, aber nur für eine Saison gedacht war, denn das war wirklich schon alt.



Abfahrt von Balestrand

Die Abfahrt verläuft ganz gut. Der Wind weht mit 2-3 raumschots (also von schräg hinten). Großsegel und Fock sind gesetzt, so geht es recht zügig bis Kallestad. Eine Stunde dümpele ich dann bei fast totaler Flaute so daher, bis ich endlich den Teil des Fjordes erreiche, der sich von Ost nach West streckt. Hier ist auch wieder Wind, allerdings ziemlich von vorn. So muss ich ein paarmal kreuzen, bis ich gegen 18 Uhr den Arnafjord erreiche. Hier will ich die erste Nacht verbringen.

Gleich der erste Steg liegt mir zu offen, so motore ich in den Fjord hinein und finde meinen ersten Stopp. Leider fängt es auch gleich zu regnen an, so dass ich es nicht schaffe, die Persenning aufzuziehen, bevor das Boot nass wird. Aber das Schlimmste konnte ich verhindern. Zu Essen gibt es Linsensuppe mit Ananas zum Nachtisch. Nun sitze ich kurz vor neun im Boot, auf das der Regen tropft, und schreibe das Erlebte von heute. Eigentlich bin ich reif für den Schlafsack.



Der Steg für die erste Nacht

09.07.2011

Was für eine Nacht. Es regnet ununterbrochen. Unter der Persenning hört es sich zwar schlimmer an, als es ist, aber es ist genug. Eigentlich ist es ja ganz gemütlich, erinnert es doch sehr an die Jugendzeit. War das in diesem Leben? Kaum vorstellbar. Gegen Mitternacht stört mich ein merkwürdiges Plätschern. Ich linse unter der Persenning hervor. Die Autoreifen, an denen SINAen noch vorhin lag, hängen jetzt einen Meter höher. Verdammt, ich habe an einem festen Steg angelegt und nicht an die Gezeiten gedacht. Also im Schlafanzug raus in den Regen. Die vordere Leine ist schon recht stramm, die lasse ich etwas raus, aber das ist nicht die Ursache. Der Wind hat gedreht, natürlich hatte ich mir einen Steg mit ablandigem Wind ausgesucht, jetzt drückt es kleine Wellen ans Boot und das Boot an den Steg. Also noch zwei Fender ausbringen, dann sollte alles wieder in Ordnung sein.

Tatsächlich schlafe ich dann - nicht wirklich fest, aber immerhin - bis gegen sechs. Ruhiger ist es geworden, kein Wind mehr, keine Wellen, nur der Regen ist geblieben. Liegenbleiben ist eine gute Wahl, und so brauche ich bis halb neun, um mich zum Aufstehen zu motivieren. Kleines Frühstück, kleine Wäsche und was jetzt? Persenning runter, Boot fertig machen und nachhause. Kein Wind und Dauerregen, das macht keinen Spaß.

Als die Persenning runter ist, grinst die Sonne durch die Wolken und meint, ich solle nicht so schnell aufgeben. Na gut, überredet, also weiter. Schlagartig ist schönes Wetter, gegen 10 lege ich ab, fast windstill. Die beiden Familien von der Ferienhütte nebenan winken zum Abschied. Nett! Es dümpelt sich so dahin. Mal mit Paddel, mal mit einem Hauch Wind, der ganz plötzlich aber auch nur kurz richtig auffrischt, mühe ich mich aus dem Arnafjord. Aber ganz raus komme ich nicht. Nach über zwei Stunden reicht es mir und ich werfe den Motor an bis zum Sognefjord. Da gibt es Wellen ohne Wind. Was für ein Geklapper und Geschlage mit den Segeln. Nicht auszuhalten. Segel runter und mit dem Motor nachhause? Ach nein, die Sonne ist immer noch da und ich habe ja noch viel Zeit. Gestern um die Zeit war auch kein Wind, und nachher wurde es noch ganz ordentlich.

Kaum gedacht, kommt Wind auf. Genau von hinten. In die gleiche Richtung, in die ich gestern mühsam aufkreuzen musste, schiebt uns jetzt der Wind, Vorsegel nach Backbord, Großsegel nach Steuerbord, in der sogenannten Schmetterlingsstellung. Am Finnafjord vorbei geht es immer Kurs 300 Grad den Fjord entlang. Ortnevik habe ich mir als nächsten Halt ausgewählt. Drei Stunden später lege ich am privaten Hafen von Magne Fidje an. Diesmal achte ich darauf, dass es ein Schwimmsteg ist. Gleich nach dem Anlegen mache ich mich auf den Weg und frage beim nächstgelegenen Haus, ob ich eine Nacht dort liegen darf. Kein Problem, ich bin willkommen.



Ein Schweinswal am Ausgang des Arnafjordes

Ortnevik ist ein kleines, niedliches Dörfchen mit Kirche, Schule, Kindergarten und winzigem Einkaufsladen. Sehr idyllisch. Sogar eine Fähre gibt es nach Nordeide und Måren, habe sie aber nicht im Betrieb gesehen, muss ich mal auf dem Fahrplan schauen, wann die fährt.



Ortnevik

10.07.2011

Als ich heute früh um sechs unter der Persenning ins Freie schaue, scheint schon die Sonne. Na also, das fängt ja schon mal gut an.Trotzdem dauert es bis kurz nach acht, bis ich mich aus dem Schlafsack gequält habe. Frühstück gibt es heute draußen, soll heißen, nachdem die Persenning verstaut ist. Das sitzt sich gleich viel entspannter auf der Backskiste. Als ich mich gerade mit der Zahnbürste in Richtung Natur aufmachen will, kommt ein Mann den Weg zum Hafen herunter. Er ist vielleicht 10 Jahre jünger als ich und einfach nur neugierig. Es kommt wohl auch nicht so oft vor, dass hier jemand mit einer Jolle aufkreuzt. Seinen Namen hat er mir gesagt, aber ich schaffe es nur selten, mir norwegische Namen zu merken, bevor ich sie gelesen habe. Wir verstehen uns nicht nur sprachlich ganz gut, und so tauschen wir uns umfassend aus. Er ist Pädagoge beim norwegischen Militär und arbeitet in Akershus, einer sehr schönen Anlage, die ich mir letztes Jahr in Oslo von außen angesehen hatte.

Aufgewachsen ist er in Ortnevik, im Nachbarhaus vom Hafenbesitzer. Nun hat er drei Wochen Urlaub und verbringt den zuhause. Als er mir zum Abschied sagt, dass er eine kleine Wanderung zu einem Kasten vorhat, wo man seinen Namen in ein Buch eintragen kann, gebe ich ihm gleich einen meiner Firmenkugelschreiber mit, die genau für solche Kästen gedacht sind. Für das nette Gespräch bekommt er auch noch einen persönlich. So wird es doch wieder 10 Uhr, bis ich mich auf den Weg mache.

Segel gesetzt und paddelnd verlasse ich die Bucht. Erst auf dem Fjord ist wieder genügend Wind. Er kommt, wie gestern auch, von achtern. Wie ich so dahinsegele, sehe ich von vorne ein anderes Wellenmuster auf mich zukommen. Schlagartig dreht der Wind um 180 Grad. Wind von vorne, Wellen von hinten, recht schaukelig, aber kein Problem. So geht das heute die ganze Fahrt über. Drehende Winde, Flauten, aber zwischendurch auch immer wieder Phasen mit richtig nettem Wind, ach, eigentlich ein schönes Segeln. Zwei dicke Schauer ziehen auch durch, da hole ich doch gleich den Südwester aus der Backskiste. Erstaunlich, wie schnell das Boot wieder trocknet, wenn die Sonne danach scheint. Rot scheint eine gute Farbe für eine Jolle zu sein.



Auf dem Sognefjord Richtung Westen. Viel Platz zum Segeln

Kurz vor Erreichen des Fuglesetfjordes kommt von vorne ein größeres Schiff. Lange Zeit hält es direkt auf mich zu, ist aber auch noch weit weg. Da ich sowieso hier abbiegen wollte, kommen wir uns auch nicht ins Gehege. Als es in vielleicht 200 Metern Entfernung passiert, sehe ich in einem seitlichen Fenster ein umgekehrtes V, als es sich bewegt, bestätigt sich meine Vermutung, dass ich mit einem Fernglas beobachtet werde. Mein Gruß wird tatsächlich erwidert.

Um die Ecke fegt ein hässlicher Wind. Das war gestern beim Abbiegen nach Ortnevik auch schon so und hängt wohl mit dem Relief zusammen. Heute habe ich keine Lust darauf, nehme die Segel weg und motore bis Søreide. Dort gibt es einen kleinen Bootshafen. Ortnevik hat auch einen, aber da traute ich mich nicht rein, weil ich weiß, wie voll der in Balestrand ist. Doch man sagte mir, dass da immer Platz sei, und es gibt dort auch einen Aushang, wie und wieviel ein Gast zu zahlen hat. Diesmal benutze ich daher den Hafen, lege mich gleich an den ersten Schwimmsteg. Nachdem SINAen versorgt ist, schaue ich mich um. Auch hier gibt es einen entsprechenden Aushang. Wunderbar, dann bleibe ich hier.

Wie immer unternehme ich erst einmal einen kleinen Spaziergang durch das Dorf. Søreide ist geprägt vom Tourismus. Hütten gibt es zu mieten und reichlich nette Sitzgelegenheiten. Sogar eine überdachte, das wird mein Schreibzimmer heute abend. Schreiben ist ein fester Bestandteil meiner Segeltörns, damit verbringe ich bis zu zwei Stunden täglich. Von dieser ersten Besichtigungstour komme ich gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Schauer zurück. Die Persenning hatte ich noch weggelassen, da ich bei der Anfahrt noch einen ordentlichen Guss mitbekommen hatte. Sie ist mit den ersten Tropfen über dem nun getrockneten Boot ausgebreitet. Maßarbeit!



Søreide. Der kleine blaue Punkt ist SINAen

Gerade schreibe ich noch eine SMS an Simone, als ich draußen Kinderstimmen höre. "Hallo!" Ein paar mal. Ich lupfe die Persenning. "Meint Ihr mich?" Zwei Mädchen um die 10 Jahre stehen am Boot. "Willst Du Lapper?" Ich pelle mich aus dem Boot. Entgegen meiner ersten Annahme wollen die die aber nicht verkaufen, die Lapper sind ein Geschenk. Ich nehme also einen. Die beiden Mädchen wohnen im Haus gegenüber. Noch ein drittes Mädchen steht schüchtern etwas weiter weg, gehört aber auch dazu. "Nimm alle", darauf drückt die eine mir den ganzen Pappteller mit den restlichen vier Lapper und Himbeermarmelade in die Hand. Ich kann mich gerade noch bedanken, da ist die Bande auch schon verschwunden.



Noch drei Lapper. Sehr lecker!

Kurz bevor ich zum Boot zurück kam, war ein Mann an dem Briefkasten, in den man einen Zettel mit Namen und Boot und 75 Kronen pro Tag legen soll. Natürlich hatte ich das schon erledigt, aber keine 75 Kronen passend. So nahm ich eine von den dafür vorgesehenen Tüten, legte eine Visitenkarte, die ich auf der Rückseite mit "Seiljolle SINAen 10./11.7.11" beschriftet hatte, 100 Kronen und noch einen Firmenkugelschreiber hinein, und warf alles zusammen in den Briefkasten. Die Lapper waren wohl die Anwort darauf. Danke!

11.07.2011

Um sieben Uhr fährt ein Boot aus dem Hafen. Angler, lautstark, Deutsche. Bis ich auf dem Wasser bin, ist es wieder 10. Scheint eine Angewohnheit zu werden. Mit ganz leichtem Wind schleichen wir dahin, auch mal ganz schön. Heute will ich nach Måren, das liegt etwa bei Ortnevik, nur auf der anderen Seite des Fjordes. Auf einem Plan der Kommune Høyanger habe ich gelesen, dass es dort einen Sportboothafen gibt. Als ich zurück auf dem Sognefjord bin, kann ich die Nase schon sehen, hinter der Måren liegt. Durch die hohen Berge sieht alles immer zum Greifen nah aus, doch das täuscht. Mit meiner Nussschale brauche ich ab Søreide sechs Stunden dahin, aber der Reihe nach.



Blick zurück in den Fuglesetfjord

Zuerst segle ich mir einen Troll. Ein passenderer Begriff als "Trollsegelei" fällt mir dazu nicht ein. Ich bin auf dem Sognefjord kurz nach Verlassen des Fuglesetfjordes. Im Norden ist die Kirche von Kyrkjebø, im Süden ein Bauernhof, dazwischen etwa sieben Kilometer Wasser. Durch dieses Tor aus Kirche und Hof muss ich Richtung Osten. Aber egal, was ich unternehme, bleibe ich westlich davon. Es ist ein schwacher, ständig drehender Wind mit Tendenz von vorn. Segle ich auf Steuerbordbug, dreht der Wind so, dass ich auf den Hof zufahre, also schnell gewendet auf Backbordbug, dreht der Wind wieder zurück und ich steuere genau auf die Kirche. Oder der Wind bleibt ganz aus, SINAen dreht sich, und der nächste Wind wird zur Rückdrehung verbraucht und schläft sofort wieder ein. Es herrscht auch noch ein ablaufender Tidenstrom, der sich jeden eventuell gewonnenen Meter zurückholt.

Dieses Spiel geht wohl zwei Stunden, aber ich will segeln und nicht motoren, deshalb bleibe ich geduldig. Irgendwann fängt die Blase an zu drücken. Bis Måren halte ich das keinesfalls aus, also puhle ich mich aus. Rettungsweste und Trockenanzug stören mit bei meinem Vorhaben. Endlich kann ich die "Bordtoilette" benutzen (Insider wissen, was ich meine). Kaum habe ich mein Outfit wieder gerichtet, kommt Wind auf. Hof vorbei, Kirche vorbei, Troll besiegt.

Nun geht es erst mit halbem (seitlichem), später mit achterlichem (von hinten) Wind zügig voran. Westwind mit einer guten Stärke 4 dürfte das sein. Vor- und Großsegel stehen im Schmetterling und pflügen SINAen durch die Wellen. Nach etwa zwei Stunden kommt Måren. Es gibt einen Fähranleger, zu dem genau in diesem Augenblick die Fähre aus Ortnevik kommt. Kein Zweifel ist möglich, das ist Måren. Der versprochene Sportboothafen existiert aber nur auf der Kommunenkarte in Ortnevik. Eine andere Anlegemöglichkeit finde ich nicht, also kehre ich wieder zurück nach Ortnevik. Dass dort ein Sportboothafen ist, weiß ich ja nun, und diesmal werde ich den auch benutzen.



Im Schmetterling Richtung Måren

So komme ich noch zu einer flotten Fahrt quer über den Fjord. Immer noch mindestens 4 Bft, nun von der Seite, und auch schöne Wellen sind dabei. So kann ich das neue Segel auch unter diesen Bedingungen testen. Bei schwachem Wind ist es gut genug und auch bei diesem stärkeren erfüllt es alle meine Erwartungen. Nur mit dem Großsegel kann ich die Krängung locker aussitzen, ohne ausreiten zu müssen. Also ist noch ausreichend Sicherheit für mehr Wind vorhanden. Bei schwächerem Wind, und sogar bei einer achterlichen 4, kann ich gut das Vorsegel dazu setzen. Die permanente Angst mit dem größeren Segel herrscht hier nicht, das alte, vertraute SINAen-Gefühl ist wieder zurück. Die Anschaffung hat sich wirklich gelohnt.

Gegen halb sechs liege ich nach einem langen Segeltag im Hafen von Ortnevik. Heute ist wieder Linsensuppe dran. Der Menüplan ist einmal rum: Linsensuppe, Erbsensuppe, Hühner-Nudeltopf. Das Leben kann so einfach sein.

12.07.2011

Die Fähre kommt um halb acht, ihr Wellenschlag weckt mich. Sehr praktisch, hatte ich doch gerade geträumt, eine Packung Stecknadeln umgekippt zu haben. Brauche ich die wenigstens nicht wieder einzusammeln. Es ist schon merkwürdig, welche Gedanken im Kopf herumfliegen. Auf dieser Reise habe ich schon so komische Dinge geträumt, war wohl mal an der Zeit, in der Birne neu zu organisieren. Ich drehe mich noch einmal um und räume die Nadeln doch noch weg. Ordnung muss sein.

Zu allem Überfluss stelle ich beim Anziehen fest, dass an meinem rechten Oberschenkel eine Zecke sitzt. Diese Viecher lieben mich wohl, denn die habe ich öfter. Muss mir wohl doch eine persönliche Zeckenzange besorgen. Für den Hund hatten wir eine sehr gute gekauft, die brauchen wir für den Kater, der im Sommer täglich wenigstens eine Zecke mitbringt. Meine war noch ganz klein und zum Glück konnte ich sie mit einer gewöhnlichen Zange entfernen, die ich immer an Bord habe. Wie gut, die hätte mir die Laune vom ganzen Tag versaut.

Die Abfahrt schaffte ich heute erst gegen halb zwölf. Ursache war ein Mann, der sein Auto direkt vor dem Haus am Hafen packte. Ich fragte ihn nur, ob er dort wohnte, oder ob es eine Ferienhütte sei. Das Gespräch dauerte dann über eine Stunde. Er ist Pensionist, seine Frau arbeitet noch. Das Haus wird als Ferienhütte genutzt, seine Frau hat es geerbt, und sie haben es dann noch etwas vergrößert. Ihre Großmutter ist 1884 in dem Haus geboren.



Abfahrt aus Ortnevik. Gleich vorne an dem gelben Haus treffe ich den netten Mann

Und dann erzählte er noch von einem Erlebnis der besonderen Art. Er war mit einem Ruderboot auf dem Sognefjord und angelte, als eines der Passagierschiffe, die im Sommer nach Flåm fahren, direkt auf ihn zusteuerte. Er sprach von einem 100.000 Tonnen-Schiff. In Todesangst ruderte er um sein Leben. Schließlich war der Abstand zwischen ihm und dem Dampfer doch größer, als er befürchtet hatte, und er kam mit einem gehörigen Schrecken davon. Später beichtete ihm ein befreundeter Lotse, dass er ihn erkannt und sich einen Spaß erlaubt hätte. Na, auf solche Art von Humor kann ich gut verzichten. Auf meine Frage, was denn aus der Freundschaft geworden sei, antwortete er nicht, sondern sagte nur, dass da früher auch ordentlich gebechert worden sein soll, und dass inzwischen die Kontrollen verschärft worden seien und es heute viel sicherer wäre. Manchmal entstehen richtig nette Gespräche, wenn man nur mal ein Wort sagt. Dieses war eines von den besonders netten.

Die Überfahrt zum nächsten Halt war wenig spektakulär. Wind war genug, ich konnte sogar segelnd die Bucht verlassen. Als Ziel habe ich mir den Finnabotn ausgesucht. Diesmal will ich ganz bis zum Ende durchfahren, dass das nicht unter Segeln gelingen wird, habe ich eingeplant. Bei Einfahrt in den Finnafjord nehme ich dann auch das Segel runter und werfe den Motor an. Der Finnabotn ist ein See, der hinter dem Finnafjord liegt und mit diesem durch einen Durchlass von vielleicht 15 Metern Breite und zwei Metern Tiefe verbunden ist. Vor der Durchfahrt habe ich etwas Respekt. Was hat der Mann wohl damit gemeint, dass das mit meinem Motor schon gehen wird? Je schmaler und flacher die Durchfahrt ist, umso stärker wird wohl die Strömung zum Tidenausgleich sein. Um besser sehen zu können, fahre ich stehend. Das Wasser ist welliger, aber je näher ich komme, umso ungefährlicher sieht es aus. Letztlich habe ich einen Gegenstrom wie bei einem normalen Bach oder Fluss.

Die Fahrt über Grund geht kurz ein Stück zurück, und dann bin ich auch schon durch. Einmal sehe ich kurz Wasserpflanzen, so dass ich wegen der Wassertiefe einen kleinen Schlenker fahre. Sehr ungewöhnlich für diese Gegend, in der gewöhnlich Wassertiefen bis 1.300 Metern vorherrschen. Das würde mir wohl keiner glauben, wenn ich mit einer Jolle am Fjord Grundberührung hätte.

Was ich dahinter vorfinde, übertrifft alle Erwartungen. Spiegelglattes Wasser, steile Berge, Norwegen, wie im Märchenbuch. Ich muss einfach die Morgenstimmung aus Peer Gynt summen. Was ich nicht wusste: Hier ist seit 1990 das Naturschutzgebiet Stølsheimen eingerichtet. Außer einer kleinen Stromleitung und zwei Höfen ist hier nichts verändert. Die Wasserfälle fließen direkt in den Botn, ohne zur Energiegewinnung in Röhren umgeleitet zu werden. Dass die Ribboote (das sind sehr schnelle Schlauchboote) regelmäßig Touristen hierher fahren, wusste ich, jetzt weiß ich auch, warum.

Einer der Höfe am Ende des Finnabotn ist bewirtschaftet. Hier gibt es bei meiner Ankunft erst einmal eine leckere Fischsuppe. Zu Abend gibt es noch Seeforelle, vom Betreiber Thomas selbst gefischt. Er und Natt betreiben diesen Hof in diesem Jahr. 2007 wurde diese Restauration erstmalig geöffnet. Seitdem steht sie von Mai bis September Besuchern offen. Außer den Ribbooten, die hier praktisch im Linienverkehr Gäste herankarren, kamen heute noch zwei Boote, erst ich und dann noch ein kleines Motorboot mit einem Paar aus der Nähe von Bergen. Die beiden nutzen eine der Übernachtungsmöglichkeiten im Hof. Ansonsten läuft noch ein amerikanisches Paar hier herum, das sich anscheinend länger eingemietet hat.



Der bewirtschaftete Hof am Finnabotn

Das wäre auch eine schöne Tour zusammen mit Simone. Da SINAen aber nicht die schnellste ist, wird es ohne Übernachtung nicht gehen. Unter sieben Stunden ist wohl ein Weg von Balestrand aus nicht zu schaffen. Leider gibt es hier keine Handyverbindung. Habe Simone bei Einfahrt in den Fjord eine SMS geschickt und vor der Abreise schon gesagt, dass, wenn ich abends keine SMS schicke, mir nichts passiert sein wird, sondern wohl eher keine Verbindung besteht. Sie würde sich dann trotzdem Sorgen machen, hatte sie gesagt. Eigentlich umso schlimmer, dass bisher immer Empfang war. Ich verwöhne mich aber trotzdem heute mal richtig. Gaskocher und Erbsensuppe bleiben unangerührt.

Nach dem Essen kann ich nur sagen, dass das hier ein absoluter Geheimtipp ist. Super Essen, mit Wein und Dessert, Kerze auf dem Tisch. Super nette Bedienung, einfach perfekt. Vergleichbar vielleicht mit Haugseter, wo wir früher schon zu besonderen Anlässen, wie Hochzeitstag, gegessen haben. Nur ist dieses logistisch noch unerreichbarer und insgesamt mindestens eine Klasse höher. Ich hoffe, hierher zurückkommen zu können. Vielleicht schaffen wir es auch einmal zusammen.



Mein Schlafplatz im Finnabotn

Ein schnelleres Boot würde da nicht helfen, denn um dieses gleiche Erlebnisgefühl zu bekommen, bedarf es einer langen und vor allem langsamen Anreise. Die Tour mit den Ribbooten ist da meines Erachtens kontraproduktiv. Da werden zahlende Gäste mit 70 km/h über das Wasser hergepeitscht, die können gar kein Gefühl für diese Abgeschiedenheit aufbauen. Und diese Ankunft durch den kleinen Strom! Mit einem schnellen Boot ist das so nicht zu erleben. Ich könnte noch stundenlang weiter schwärmen. Was für ein Tag!

Und da die hier Festnetz haben, konnte ich auch Simone noch anrufen, so dass sie beruhigt ist und ich weiter genießen kann. Aber allmählich wird es schlafenszeit. Werde mich jetzt zum Boot begeben und den Tag langsam beenden. Weit komme ich aber nicht. Schon beim Nachbarhaus werde ich von der früheren Betreiberin des Hotels aufgehalten. Sie steht auf dem unteren Balkon und spricht mich an, fragt, was ich mache und wie ich hierher, also nach Norwegen, gekommen bin. Während wir so reden, fliegt in gebührendem Abstand ein großer rotbunter Papagei vorbei. Fast will ich mich kneifen, um zu sehen, ob ich nicht träume. "Das ist meiner, der fliegt im Sommer immer hier frei herum", sagt sie. Ok, Ihr glaubt mir das alles nicht und ich erzähle auch manchmal viel Quatsch, aber diese Aufzeichnungen mache ich hauptsächlich für mich selbst, warum sollte ich da nicht bei der Wahrheit bleiben?

13.07.2011

Gestern Abend blauer Himmel, morgens scheint sogar schon die Sonne durch die Persenning. Schönstes Wetter! Nach dem gestrigen Supertag und der Tatsache, dass heute der 13. ist, kann das nur eines bedeuten: Flaute. Gegen neun lege ich ab. Leicht kräuselt sich das Wasser auf dem Finnabotn. Den zu durchsegeln, wenn auch nur ganz langsam, wäre schon toll. Also Motor gleich wieder aus, Großsegel ist sowieso schon gesetzt, und dann noch die Fock ausrollen. Zeitlupensegeln vom Feinsten. Keine Bewegung auf dem Wasser, keine auf dem Boot, und so schiebt uns dieser Hauch von einem Wind langsam aber stetig fort vom Hof.



Der Blaue Salon

Für halb zehn war die Fähre angekündigt, natürlich kommt sie auch und zerstört die Idylle. Wellen und Lärm am Ende der Welt. Schade. Aber es war nicht allein die Schuld der Fähre, dieser Hauch hatte sich kurz zuvor in Nichts aufgelöst. Also Fock wieder einrollen, Motor an und weiter. Die Durchfahrt in den Finnafjord ist wieder kein Problem, und so sind wir dann auch schon zurück in der Wirklichkeit. Den Finnafjord entlang bleibt der Motor an. Als auf dem Sognefjord die ersten Kräuseln auf dem Wasser erscheinen, schalte ich ihn endlich ab. Was folgt, hatten wir schon: Trollsegeln.



Durch den Finnafjord zurück in den Sognefjord

Diesmal ist die Kirche von Sæle die unüberwindbare Marke. Aber mit null Wind von vorne gegen die Gezeitenströmung anzusegeln, ist schlicht hoffnungslos. Heute kann ich noch nicht einmal die Position halten. Könnte ich einen Anker legen, wäre ich schneller. Bei über 1.000 Metern bis zum Grund braucht man es wenigstens erst garnicht zu probieren. Ich meine einmal von einer großen Regatta gelesen zu haben, in der die Sieger durch solch eine Taktik gewonnen hatten, da sie wohl die einzigen waren, die erkannt hatten, dass sie rückwärts trieben. Der Trollbezwinger für mich heute kommt aus Japan, macht Krach, quirlt das Wasser und verbraucht Benzin. Zweimal habe ich an ein paar Kräuseln geglaubt, aber es bleibt dabei: Ohne Motor geht nichts. So habe ich ihn denn wohl vier Stunden lang laufen gelassen.

Unterwegs war tierisch einiges los. Erst sah ich in größerer Entfernung einen Fisch springen. Schwer zu schätzen, aber einen Meter lang war er wohl. Der sprang richtig hoch, war komplett aus dem Wasser. Kurz darauf, ich war schon an der Stelle vorbei, schwammen zwei Schweinswale, wie ich sie fast täglich beobachten konnte, ziemlich konfus hin und her. Da gab es wohl etwas zu jagen.

Später noch eine Beobachtung, die ich eigentlich selbst kaum glaube. Links voraus saß eine Möwe auf dem Wasser. Die saß da recht lange und war mir aufgefallen, da ich sie bestimmt aufscheuchen würde. Als ich gerade nicht hinsah, platschte es genau an der Stelle, als wäre ein großer Stein ins Wasser gefallen. Wellen waren da, die Möwe war weg. Sie flog auch nicht irgendwo. Sollte die zur Jagd tauchen? Und macht dabei solche Wellen? Ich beobachte die Stelle genau, um zu sehen, ob sie wieder auftaucht. Eine weiße Feder schwimmt im Zentrum der Wellen, und als ich ganz nah bin, taucht wieder ein Schweinswal auf. Hat der etwa die Möwe gefressen? Unglaublich! Das muss ich zuhause im Internet nachlesen, ob Möwen auf dem Speiseplan von Schweinswalen stehen. Hätte ich nicht gedacht, aber es sah so aus.

Die Recherche im Internet ergab, dass Schweinswale nur kleinere Tiere fressen, z.B. Fische bis höchsten 25 Zentimeter. Allerdings fand ich auch ein Bild eines Seeteufels mit einem Vogel im Maul. Dann wird es so etwas in der Richtung gewesen sein.

Kurz vor Vik kommt doch noch einmal Wind auf. Es ist drei Uhr, und er steht günstig für die Fahrt nach Balestrand. Motor aus, Fock raus und Kurs nachhause. Also doch nicht, wie geplant, noch in Vik einen Stopp einlegen. Es wird aber nichts mit dem eigenen Bett heute Abend. Nach zehn Minuten ist der Spuk wieder vorbei. Beide Segel kommen jetzt weg, es ist entschieden, ich knattere doch nach Vik. Im Hafen bekomme ich sogar einen guten Liegeplatz. Es ist richtig warm geworden. Heute ist Sommer 2011. Um halb vier liegt SINAen im sicheren Hafen.



Im Hafen von Vik

Um sechs fängt es an zu wehen. Eine halbe Stunde später überlege ich, ob ich den Wind nutze und nachhause segle. Um sieben los, wenn der Wind bleibt, gegen zehn da. Und wenn nicht? Nein, keine unnötigen Aktionen, das artet nur in Stress aus. Und selbst, wenn ich um zehn da wäre, alles auspacken, hochbringen, wegpacken, bin ich auch nicht vor Mitternacht im Bett. Nein, nein, das ist keine gute Idee. Die Persenning wird hergekramt und aufgezogen, muss sogar aufpassen, dass sie mir nicht ins Wasser weht. Zum Schreiben suche ich mir wieder einen möglichst netten Platz. Zum ersten Mal brauche ich keinen Regenschutz, sondern Schutz vor dem Wind. Sonst ist es zu kalt und mir bläst es die Blätter vom Tisch. Wie schon gesagt, heute ist der dreizehnte.

14.07.2011

Die letzte Nacht der Tour. Recht früh bin ich auf den Beinen. Ich könnte zwar gerne noch ein paar Tage so weiterleben, aber wenn ich dann schon so nah der Heimat bin, will ich es auch beenden. Ursprünglich sollte der Törn vier Tage länger dauern, aber es kam leider etwas dazwischen, sonst hätte ich ab Søreide noch zwei weitere Tage weiter nach Westen segeln können. Doch nun ist es so und so ist es gut.

Blauer Himmel, kaum eine Wolke zu sehen, und auch kein Wind. Zum Frühstück gibt es eine Scheibe Brot mehr als sonst, dann ist die Tüte leer. Ich warte noch das Expressboot nach Bergen ab, dann kann es losgehen. Das Segel kommt demonstrativ in den Segelsack, und den Trockenanzug ziehe ich auch nicht an, sondern nur die neue Segeljacke. Die alte wurde mir ja letztes Jahr in Travemünde mit vielen anderen Dingen, vor allem Simones, aus dem Auto gestohlen. Von Vik nach Balestrand werde ich nur mit Motor fahren. Keine Dümpelei mehr. Halb neun tuckere ich aus dem Hafen. Friedliches Wetter, glatte See, ich werde die Überfahrt genießen, in Gedanken den letzten Tagen nachhängen, die mir, wie immer bei meinen Bootstouren, wie eine Ewigkeit vorgekommen sind, und noch etliche Bilder in alle möglichen Richtungen knipsen. Insgesamt werden es 248 Stück sein, aus denen ich die besten für diesen Bericht heraussuchen kann.



Ein letzter Blick zum Arnafjord und zum Finnafjord

Zufrieden mit mir und dem Erlebten bin ich schon eine gute Stunde unterwegs.

"Wolltest Du nicht segeln?"
"Ja, guter Troll, aber es ist kein Wind da."
"Ich hab Dir welchen gemacht."
"Den sehe ich, aber der reicht nicht."
"Guck, ich mache Dir auch noch ein paar Schaumkronen dazu, dann reicht er auf jeden Fall."
"Ach, lass gut sein, eigentlich will ich nachhause."
"Du kannst auch nachhause segeln, das ist doch viel besser, als dieses Geknattere."
"Und dann lässt Du mich wieder im Zickzack auf der Stelle fahren, wie die beiden anderen Male."
"Keine Sorge, es ist ja keine Kirche in der Nähe. Fahr nach Kallestad, da findest Du eine Boje, dort machst Du fest und Dich zum Segeln klar."

Na gut, ich lasse mich breitschlagen. Trockenanzug an, an der Boje festmachen, Segel setzen, und schon geht es recht flott ohne Motor weiter. Natürlich ist der geschenkte Wind direkt von vorne. So segle ich einen Schlag nach Osten und noch einen wieder zurück nach Westen. Und bin wieder an der Boje.

"He, so war das nicht abgemacht!"
"Kleiner Scherz von mir. Probiers noch einmal, diesmal wird es gehen."

Und so segle ich einen langen Schlag fast bis nach Vangsnes und wieder zurück, und dann noch einmal. Mit den gesegelten wohl 15 Kilometern komme ich Balestrand ganze zwei Kilometer näher. Dann schläft der Wind wieder ein.

"Wolltest Du mich nicht nachhause bringen?"
"Schon, aber jetzt ist es zwölf und ich bin müde. Ich leg mich ein Weilchen auf's Ohr. Kannst ja auf mich warten, vielleicht puste ich später noch ein wenig."

Darauf lasse ich mich aber nicht mehr ein, sondern werfe den Motor an. Halb zwei liegt SINAen auf ihrem Stammplatz im Hafen von Balestrand. Ein abwechslungsreicher und sehr schöner Törn ist zu Ende.


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17.07.2011