Skandinavische Odyssee

Geplant war ein etwa zehntägiger Törn auf dem Vänern, dem größten Binnensee Schwedens. Doch es kam anders.

Mittwoch, 16.05.

777 Kilometer zeigt der Tageszähler um 20:30 Uhr am Ortseingang von Vänersborg. Mehr als 12 Stunden bin ich jetzt unterwegs. Doch es ist fast geschafft. Zuerst suche ich einen Geldautomaten, denn schwedisches Geld zu holen habe ich zuhause nicht mehr geschafft. Als nächstes und letztes Ziel für heute fehlt nur noch der Hafen. Aus dem Internet weiß ich die grobe Richtung, wo er liegen müßte. Einmal muß ich am Ortsausgang wenden, beim zweiten Anlauf sehe ich plötzlich ein paar Motorboote im Wasser liegen. Davor ein Parkplatz. Schnell anhalten und einen Überblick verschaffen. Der Hafen liegt etwas weiter , nur noch über eine Brücke und rechts abbiegen, dann bin ich da. Einen weitläufigen Hafen mit viel Platz und einer erstklassigen Slipanlage finde ich vor. Das Slippen ist sogar kostenlos. Also baue ich SINAen schon heute auf und lasse sie zu Wasser. Schlafen werde ich aber im Auto, dann spare ich mir die Persenning auf- und abzubauen.

Schönstes
Schönstes Wetter bei der Ankunft in Vänersborg

Es ist viel los hier. Mindestens 50 Autos stehen auf der Wiese vor dem Hafen, ein Zelt ist aufgebaut und eine Frau verliest über Lautsprecher laufend Zahlen. Plötzlich hupt jemand. "Bingo" sagt die Frau am Lautsprecher. In den Autos sitzen Leute und kreuzen Zettel an. Bingo-Drive-In kannte ich noch nicht.

Donnerstag, 17.05.

Der neue Schlafsack ist gemütlich und bietet mehr Bewegungsfreiheit als der alte, der mir letztes Jahr am Limfjord zerriß. Kalte Füße habe ich trotzdem und ziehe mir mitten in der Nacht die Socken wieder an. Seit drei Uhr regnet es. Ununterbrochen. Gestern bei der Ankunft war es so schön und jetzt das. Noch ist es aber früh am Tag und ich bleibe erstmal liegen. Vielleicht wird es ja besser.

Irrtum. Es regnet ohne Pause. Der Himmel ist grau, überall, keine einzige Lücke bleibt für die Sonne. Gegen halb neun will, nein, muß ich aufstehen. Die Toilette liegt 150 m in Windrichtung. In die Backskiste habe ich gestern die Regensachen gestopft, schon gleich früh morgens ist die erste Entscheidung fällig: Erst zum Boot oder erst zum Waschraum? Die Entscheidung fällt gegen das Boot und die Regensachen. Mir war noch nie so bewußt, wie lang 150 m sind. Es sind vielleicht 5° C und der Regen fegt waagerecht über den Parkplatz. Dann Regenhose und -jacke vom Boot holen. SINAen schaukelt mächtig in den Wellen, die auf der Slipanlage stehen. Draußen vor dem Hafen finden sich viele weiße Schaumkronen. Windstärke 6 ist das mindestens. An Segeln ist momentan nicht zu denken. Zum Überlegen, wie es jetzt weitergehen soll, wandere ich in die Stadt, vielleicht gibt es trotz Himmelfahrt irgendwo ein kleines Frühstück. Bei einem Jugoslawen trinke ich einen Kakao und esse ein Käsebaguette. Mit dem einzigen Gast, einem Schweden etwa in meinem Alter, komme ich ins Gespräch. Die Kommunikation klappt ganz gut, auch wenn der Inhalt des Gesprächs eher belanglos ist. Wichtigste Erkenntnis ist die Bestätigung, daß das Wetter erstmal so bleiben soll.

Gestärkt und aufgewärmt gehe ich zurück zum Hafen. Ich habe beschlossen, nicht hier zu bleiben. Mehrere Tage darauf warten, daß der Regen aufhört, möchte ich nicht hier frierend und im Auto sitzend. Also muß zuerst das Boot aus dem Wasser. Das ist nicht ganz einfach bei dem Seegang und dem Wind, gelingt schließlich aber doch, auch wenn ich so tief ins Wasser muß, daß mir die Gummistiefel voll laufen. Ich werde mein Lieblingsland Norwegen besuchen, vielleicht ist dort besseres Wetter, oder die See auf einem kleineren Gewässer ist angenehmer, als auf dem großen Vänern. Der schmale Mariagerfjord war vor zwei Jahren auch eine gute Alternative zum Limfjord, als es dort ähnlich windig war.

Freitag, 18.05.

Lillehammer ist ein Reinfall, zumindest heute. Laut Wettervorhersage sollte es regnen mit wenig Wind. Es regnet aber nicht, und so versuche ich, auf dem Mjøsa zu segeln. Auf dem letzten Parkplatz vor Lillehammer halte ich kurz an, um am Ufer den Wind zu messen. 11 m/s oder 40 km/h sind Windstärke 6, das ist also wenig Wind. Sollten mit dem Klimawandel die Rechenmodelle der Meteorologen nicht mehr passen, oder waren die Vorhersagen schon immer so schlecht? Simone unterrichtet mich telefonisch über die Wetterprognosen aus dem Internet. Für gleiche Gebiete und gleiche Zeiten melden verschiedene Seiten völlig unterschiedliche Wettervorhersagen. Vermutlich treffen sich die Meteorologen mit ihren Vorhersagen in Vänersborg am Hafen. Sie sitzen im Auto und lauschen der Frau am Mikrofon, die die Wetterdaten des vergangenen Tages verliest. Stimmt die Aufzeichnung mit den tatsächlichen Daten überein, hupt der glückliche Meteorologe: "Bingo"!

Bis zum Hafen fahre ich dennoch, vielleicht segele ich ein bißchen mit gerefftem Segel. Doch der Wasserstand des Mjøsa ist so niedrig, daß die betonierte Rampe direkt unterhalb des Wassers aufhört. Danach kommen nur noch grobe Steine. SINAen hier zu Wasser zu lassen, ist unmöglich. Alternativ unternehme ich eine Bergwanderung bei 3° C und gelegentlichen Schneeschauern.

Norwegen
Norwegen Mitte Mai

Samstag, 19.05.

Der Seewetterbericht sagt endlich besseres Wetter voraus. Sonntag Vormittag noch Sturm oder Starkwind, aber am Nachmittag soll es etwas abflauen. Tendenz für Montag und Dienstag: segelbar. Also los, verlasse ich das geliebte Norwegen (freiwillig, ich muß verrückt sein!). Sieben Stunden benötige ich bis Vänersborg, wenn ich sofort losfahre, kann ich mir die Fahrt in zwei etwa gleich lange Strecken aufteilen. Um die Autobahnmaut zu sparen, umfahre ich Oslo östlich über die 22 von Lillestrøm nach Halden, eine landschaftlich sehr reizvolle Strecke, die sich aber recht langsam fährt (gut, in Norwegen fährt sich keine Strecke schnell, aber diese zuckelt sich doch so dahin). Nach 3 Stunden bin ich an Lillestrøm vorbei, und so übernachte ich gegen 1 Uhr auf einem Parkplatz.

Sonntag, 20.05.

Um halb acht geht es weiter. Das Wetter sieht immer noch gut aus, es ist aber recht windig. An einem herrlich am See gelegenen Parkplatz frühstücke ich.

Mein
Mein Frühstücksplatz

Solche Momente müßte man einpacken und mitnehmen können. Nur selten gelingt mir das. Einer, bei dem es mir gelang, ist ein ähnliches Frühstück zusammen mit Simone hoch über dem Aurlandsfjord. Vom Rastplatz schweifte der Blick über das grün glänzende Wasser des Fjords, die Sonne schien, ohne daß es zu warm war, und unten tuckerte eine kleine Fähre, ansonsten nichts als norwegische Stille, Wahnsinn! Überhaupt liebe ich das Unterwegssein. Der Zustand des schon Weg- aber noch nicht Daseins übt einen ungeheuren Reiz auf mich aus. Es ist so, wie das Leben selbst, nur daß da jeder nur einmal beginnt und irgendwann ankommt.

Gegen 11 Uhr bin ich in Vänersborg. Kein Regen, nein, die Sonne scheint bei vielleicht 3/8 Bewölkung. Im Hafen weht der Wind mit Stärke 4. Das sieht sehr gut aus. 3 Trailergespanne stehen schon auf der Bingo-Wiese, zwei weitere sind gerade am Boot ins Wasser lassen, hier ist richtig was los, allerdings nur Motorboote. Nachdem alles aufgebaut, eingepackt und SINAen im Wasser ist, stelle ich mein Gespann etwas abseits zu den anderen Fahrzeugen. Vorsorglich lege ich einen Zettel hinter die Windschutzscheibe: "Kommer tilbake 27.05.07". Wenn nach und nach alle Trailer wieder verschwinden, macht sich sonst eventuell jemand Gedanken und läßt mich suchen.

Um 13 Uhr lege ich ab, mit Wind von hinten zische ich los. Es bläst doch ganz kräftig, vielleicht hätte ich doch lieber ein Reff eingebunden. Mein Handy-GPS, das ich mir kurz vor der Reise gekauft habe, funktioniert prima, die Route, die ich gestern eingegeben habe, wird genau angezeigt. Auch der Kompaß, den es von meinen Schwiegereltern zum Geburtstag gab, ist sehr gut ablesbar. Ich hoffe, daß mir damit nicht wieder so ein navigatorischer Totalausfall wie letztes Jahr auf dem Limfjord passiert. An mangelnder Ausrüstung wird es jedenfalls nicht liegen.

Nach einiger Zeit habe ich genug und verlasse die geplante Route. Laut Seekarte soll eine Anlegestelle am Ufer kommen, die hatte ich mir im voraus schon als Nothafen ausgesucht. Tatsächlich finde ich einen kleinen Hafen mit 22 Liegeplätzen, ein Motorboot liegt darin. Nach nur einer Stunde bin ich wieder an Land, habe aber mindestens 12 km Strecke gemacht.

Die
Die Anlegestelle von Sickhall

Wie auch in den letzten Jahren ist der erste Tag der Angsttag. Das liegt wahrscheinlich an dem großen Respekt, den ich nach dem langen Winter vor dem Wasser habe. Diesmal war es der doch recht starke Wind, der meistens genau von hinten kam. Bei hoher Geschwindigkeit ständig Angst vor einer Halse zu haben, habe ich noch nie gemocht. Nun sitze ich in Sickhall, einem idyllischen Ferienhausgelände (gerade hat jemand am Sonntag Nachmittag den Rasenmäher angeschmissen), und der erste Griff geht ganz tief unten in den Seesack, denn dort habe ich das T-Shirt versteckt. Vorgestern bei der Bergtour im Schneeschauer dachte ich, daß ich das auf keinen Fall benötigen werde. So kann man sich täuschen.

Montag, 21.05.

Als ich aufwache, ist der Himmel grau, es regnet und es ist absolut windstill. Mir reicht es, ich habe keine Lust mehr. Das GPS zeigt 12,9 km Luftlinie bis Vänersborg. Ich ziehe Regenhose und -jacke an und mache mich auf den Weg, das Auto abzuholen. 3 Stunden marschiere ich zügig, es werden wohl insgesamt 18 km gewesen sein. Um 11 Uhr sitze ich im Auto und fahre zurück nach Sickhall. Gegen halb zwei ist alles verpackt und verladen und der Heimweg beginnt. Erst in Dänemark wird das Wetter besser. Simone motiviert mich am Telefon, an die Ostsee zu fahren, dort soll schönes Wetter sein. Auf einem Parkplatz sichte ich die Seekarten. Der Kartensatz meiner ersten Tour reicht bis zum großen Belt, der liegt fast auf dem Weg. Also verlasse ich die Autobahn und fahre nach Westen. Korsør heißt das neue Ziel. Der Seewetterbericht spricht von Gewitterböen, aber nur am Vormittag, danach könnte es doch noch ganz schön werden. Es ist der letzte Versuch. In Korsør angekommen habe ich schon 2450 Kilometer verfahren und war schon ganze 12 Kilometer auf dem Wasser. Was für eine verrückte Tour.

Nach
Nach 3 Stunden Fußmarsch wieder zurück in Vänersborg

Dienstag, 22.05.

Es ist verhext. Morgens früh in Korsør: Diesig und Regen. Und das Schlimmste daran ist, daß es mich nicht einmal stört. Fast schon erleichtert trete ich die Heimreise an. Was ist bloß los mit mir? Mir fehlt jegliche Vorfreude auf das Segeln. Im Gegenteil, als ich gestern in Korsør ankam, hatte ich lange im Auto gesessen und überlegt, ob ich nicht gleich weiterfahren sollte. Fast schon widerwillig beschloß ich, wenigstens den Morgen abzuwarten. Und nun bin ich auf dem Rückweg und freue mich auf zuhause. Völlig unzufrieden mit mir mache ich mir Gedanken, wie es weitergehen soll. Aufhören zu Segeln, nachdem ich mir über fünf Jahre lang die ganze Ausstattung zusammengesammelt habe? Vor allem, wo kommt diese Lustlosigkeit plötzlich her?

Allmählich wird mir klar, daß ich mit dem Boot auf dem Vänern nicht zurechtgekommen bin. Eine Stunde bin ich gesegelt und hatte keinen Spaß daran, sondern nur Angst. Und das vorm Wind oder auch raumschots, noch nicht einmal am Wind lag der Kurs. Am Limfjord hatte ich teilweise stärkeren Wind, aber dieses Gefühl der Hilflosigkeit kannte ich nicht. Zu keiner Zeit glaubte ich, daß ich die Lage nicht im Griff hätte. Warum jetzt? Habe ich mich verändert? Denke ich zuviel nach? Oder ist etwas mit dem Boot anders?

Das neue Segel! Alle anderen Touren segelte ich mit dem alten Segel, das ist nicht mehr in Form und es ist auch kleiner (siehe Limfjord 2006). Auf dem Steinhuder Meer und auch auf der Weser war das Segeln damit zwar etwas anspruchsvoller, ein Problem war es dort jedoch nicht. Allerdings herrschen hier auch andere Bedingungen, es ist meistens mehr Wind, höhere Wellen und ich bin allein, die meisten Fahrten mit dem neuen Segel machte ich zu zweit.

Beim Verlassen der Fähre in Puttgarden ist schönstes Wetter, von der Fehmarnsundbrücke aus kann ich viele Segelboote sehen, sollte ich es vielleicht doch noch einmal versuchen? So schnell komme ich nicht wieder hierher zurück. Von der Brücke aus sehe ich auch einen Hafen am Festland, ich tanke direkt hinter der Brücke, betrachte die Übersichtskarte und verlasse die Straße an der nächsten Ausfahrt. Kurz darauf stehe ich im Hafen von Großenbrode und frage mich nach einer Slipanlage durch. Die 10 Euro Slipgebühr erläßt man mir, weil ich kaum deutsches Geld in der Tasche habe und erst zu einem Geldautomaten fahren müßte. "Komm, schmeiß rein und gut ist!" Jetzt kann ich nicht mehr zurück, ich fahre das Gespann zur Slipanlage und baue auf. Obwohl der Wind etwa in Stärke 3 weht, binde ich das Reff ein. Mit gerefftem Segel habe ich SINAen noch nie gesegelt.

Los geht es gegen 14:30 Uhr. Raus aus dem Hafen ziemlich gemütlich. Auch als ich den geschützten Bereich verlasse, geht es gemächlich voran. Kurz denke ich daran, das Reff wieder auszuschütten. Ich rufe mich selbst zur Ordnung: "Du fährst hier keine Regatta, sondern gegen Deine eigene Angst!" Am Wind geht es Richtung Fehmarnsundbrücke. Gelegentlich frischt der Wind auf und SINAen segelt so wie früher mit dem alten Segel. Ja, das ist es, so fühle ich mich wohl! Zweieinhalb Stunden genieße ich die zurückgewonnene Lust am Segeln. Ich durchfahre die Brücke, das wollte ich schon immer einmal machen, drehe um und segele vorm Wind wieder zurück. Jetzt kann ich auch viele Bilder von der Brücke schießen.

Die
Die Fehmarnsundbrücke von unten

Das ist es, was ich will. Die Fahrt genießen, auch mal träumen, Fotos machen und nicht ständig gegen das Boot kämpfen und Angst vorm Kentern oder irgenwelchen Fehlern zu haben. Und trotzdem zeigt das GPS 8 bis 9 km/h an, mir ist das schnell genug. Direkt hinter der Brücke liegt ein kleiner Hafen, dort fahre ich hinein und frage nach einer Gastliegemöglichkeit. Für 5 Euro darf ich bleiben, es gibt sogar Duschen, die kosten einen Euro. Mein letztes Kleingeld geht für die Liegegebühr drauf, nun muß ich doch zum Geldautomaten. Der nächste steht in Burg, das liegt 8 Kilometer von hier. Also mach ich mich mal wieder zu Fuß auf den Weg. Drei Stunden benötige ich für Hin- und Rückweg, und ich habe dabei ziemliche Probleme mit meinem rechten Fuß. Das begann schon auf dem Weg nach Vänersborg. Jammern nützt nichts, Zähne zusammenbeißen. Um halb zehn bin ich zurück und habe mir die Dusche wohl verdient. Sauber und hoch motiviert kann jetzt endlich nach fast einer Woche der Segelurlaub beginnen.

Im
Im Hafen von Fehmarnsund ist die Welt wieder in Ordnung

Mittwoch, 23.05.

Heute habe ich mir viel vorgenommen. Ich möchte Fehmarn im Uhrzeigersinn umrunden. Ob die Zeit dazu reicht? An der Nordseite von Fehmarn gibt es keine Häfen, nur im Süden. Deshalb muß ich wenigstens drei Viertel der Insel umrunden, bevor ich wieder einen Hafen sehe. Wenn der Wind in Stärke und Richtung so bleibt, sollte es gelingen. Viertel vor acht geht es los. 14 Stunden habe ich Zeit, dann wird es wieder dunkel. Durch die Brücke hindurch zum Westzipfel von Fehmarn muß ich gegen den Wind kreuzen. Nur langsam geht es voran. Nach drei Stunden ist dieser Teil geschafft und in nördlicher Richtung segele ich an der Westküste entlang. Ohne kreuzen zu müssen, schaffe ich natürlich viel mehr Strecke, und so bin ich schon nach einer Stunde an der nächsten Ecke und ändere meinen Kurs nach Osten. Das nächste Ziel ist Puttgarden. Schon von weitem kann ich es sehen und dabei den Fährverkehr beobachten. Etwa alle halbe Stunde läuft eine Fähre ein und aus.

Als ich nach eineinhalb Stunden Puttgarden erreiche, liegt eine Fähre schon seit mehr als 20 Minuten im Hafen. Sie müßte jeden Moment ablegen. Fast bin ich in Höhe der Hafeneinfahrt, da legt die Fähre "Prins Richard" langsam ab. Zum Zeichen, daß ich ihr die Vorfahrt lasse, steuere ich deutlich nach Steuerbord. In diesem Augenblick gibt die Fähre Gas und verläßt den Hafen. Zurück auf meinem alten Kurs kreuze ich ihr Kielwasser. Was für ein schönes Erlebnis mit meiner Nußschale so nah an der Fähre vorbei zu fahren.

"Prins
"Prins Richard" zum Greifen nah

Schon seit der Westküste fährt vor mir eine Segelyacht nur mit Großsegel in etwa gleich bleibendem Abstand. Nach Passieren von Puttgarden fällt mir auf, daß die ihr Vorsegel ausgerollt haben und laufend an ihrer Segelstellung arbeiten. Der Wind hat etwas abgenommen, und dadurch komme ich langsam etwas näher. Das macht sie wohl nervös. Aus Bequemlichkeit lasse ich die Schwerter immer unten, aber jetzt nehme ich sie hoch. Sofort läuft SINAen etwa 1 km/h schneller. Eine halbe Stunde später habe ich die Yacht eingeholt und segele mit gerefftem Groß und eingerolltem Vorsegel vorbei. Auf der Yacht wird das Vorsegel auch wieder eingerollt, demonstrativ kehrt man mir den Rücken zu.

Trotz
Trotz Reff schneller als die Yacht, es macht wieder Spaß

Kurz darauf ist die östliche Ecke von Fehmarn erreicht. Kaum habe ich sie gerundet, ist schlagartig der Wind weg, wie abgeschaltet. Nur noch ein leichter Hauch ist geblieben und die Richtung hat sich auch geändert. Anstatt mit halbem Wind Richtung Festland segeln zu können, muß ich kreuzen. Erst schütte ich das Reff aus, dann setze ich auch noch das Vorsegel. Dummerweise hat sich auch noch der Holepunkt der Fockschot verabschiedet. Ein Sprengring hat sich vor Rost vollständig aufgelöst. Jetzt führe ich die Schot durch den Haltegriff des Schwertes, das geht erstaunlich gut. Laut GPS sind es noch 17 km bis Großenbrode, aber nur 12 bis zum Ausgangspunkt, dem kleinen Hafen an der Brücke. Also halte ich mich an Fehmarns Küste, der nächste Hafen soll Endstation für heute sein. Ein paar mal kreuze ich hin und her, dann dreht der Wind zurück und am Wind könnte ich direkt nach Großenbrode gelangen. Bei einer Windstärke zwischen 2 und 3 setze ich unter voller Besegelung Kurs Großenbrode. Teilweise erreiche ich Geschwindigkeiten über 10 km/h bei sehr gemütlicher See. Doch je später es wird, umso ruhiger wird es. Die Geschwindigkeit nimmt konstant mit der Entfernung zum Ziel ab, so habe über einen relativ langen Zeitraum immer eine theoretische Restreisezeit von 30 Minuten. Bei 2,4 km mache ich 4,8 km/h Fahrt, bei 1,2 km sind es noch 2,4 km/h und bei 0,6 km nur noch 1,2 km/h. Als das GPS 300 m Entfernung und natürlich 0,6 km/h Geschwindigkeit anzeigt, durchbreche ich dieses mathematisch interessante Spielchen, greife zum Paddel und beende kurz nach halb zehn den Törn in der Slipanlage von Großenbrode. 13 Stunden war ich unterwegs, nun habe ich allen Wind weggesegelt, die Ostsee ist platt wie ein Dorfteich. Mit diesem herrlichen Segeltag will ich meine skandinavische Odyssee beenden. Kurz vor der Dunkelheit ist alles verladen und ich trete wesentlich besser gestimmt die Heimreise an. Am 24.05. um ein Uhr nachts bin ich wieder zuhause.

Die
Die Slipanlage in Großenbrode ist Start und Ziel der zweitägigen Reise um Fehmarn

Mit 2882 Autokilometern und den Fährpreisen mit Trailer für Puttgarden - Helsingborg und zurück war der Aufwand für das bißchen Segeln sehr hoch, trotzdem war es eine Tour, die mich seglerisch wieder etwas weiter gebracht hat. Auch meine beiden neuen Navigationshilfen haben einen guten Eindruck hinterlassen. Der Kompaß ist sehr gut ablesbar und hilft nicht nur bei der Navigation, sondern auch bei der Feststellung von Winddrehern. Ebenso hat das GPS alle Erwartungen erfüllt. Für 89,90 Euro im Versandhandel gekauft, bietet es mir alle Funktionen, die ich benötige (Lowrance iFinder Go²). Natürlich kann man dafür keine elektronischen Seekarten kaufen, wer das benötigt, muß schon ein Mehrfaches ausgeben. Ich bevorzuge nach wie vor die Papierseekarte, denn die kann nicht ausfallen. Das GPS liefert mir auf einen Blick meinen Standort, meinen Kurs (das kann der Kompaß natürlich auch), meine Geschwindigkeit über Grund und Richtung und Entfernung zum gewünschten Ziel. In der wasserdichten Aquapac-Handytasche hänge ich es mir um den Hals und habe es jederzeit griffbereit.


eMail Gästebuch

11.06.2007